Die Akte Rosenburg by Görtemaker Manfred; Safferling Christoph

Die Akte Rosenburg by Görtemaker Manfred; Safferling Christoph

Autor:Görtemaker, Manfred; Safferling, Christoph [Görtemaker, Manfred; Safferling, Christoph]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2016-10-11T22:00:00+00:00


Ernst Kanter: «Vertrauensmann der Militärjustiz»

Völlig anders verhält es sich dagegen mit Ernst Kanter. Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, war er während des Zweiten Weltkrieges Generalrichter beim Oberbefehlshaber der deutschen Truppen im besetzten Dänemark gewesen, wo Dutzende Todesurteile über seinen Schreibtisch gegangen waren.[113] Dennoch stieg er im BMJ, dem er seit 1951 angehörte, bis zum Unterabteilungsleiter auf, bevor er 1958 an den Bundesgerichtshof berufen wurde. Thomas Dehler schrieb über ihn, er sei «stolz darauf», in seiner Umgebung «einen Mann zu wissen, der während der NS-Zeit bei ständiger persönlicher Gefährdung eine selten vorbildliche Haltung bewiesen» habe.[114] Doch Kanter war eine höchst umstrittene Figur, an der sich das Ringen um den richtigen und gerechten Maßstab zur Bewertung der Vergangenheit auf besonders eindrückliche Weise zeigte.[115]

Zum Zeitpunkt der «Machtergreifung» der Nationalsozialisten war Kanter Amts- und Landgerichtsrat in Koblenz, bereits am 1. Mai 1933 trat er der NSDAP bei[116], ließ sich aber schon bald von der ordentlichen Gerichtsbarkeit beurlauben und wechselte zur Wehrmachtsjustiz. Im Reichskriegsministerium kletterte er die Beförderungsleiter konsequent nach oben, wurde schließlich 1938 Reichskriegsgerichtsrat in Berlin und ab 1. November 1942 «Generalrichter» im besetzten Dänemark, wo er bis zum 1. Mai 1945, also bis kurz vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, amtierte.[117] Als Generalrichter war Kanter in Dänemark die höchste kriegsrichterliche Instanz. Er hatte über alle Urteile der Wehrgerichte zu befinden und pflegte auch zu Werner Best, dem deutschen «Reichsbevollmächtigten» in Dänemark, enge Verbindungen.[118] Dennoch wurde Kanter nach Kriegsende nicht festgesetzt, sondern unter dem 8. Britischen Corps vom 6. Mai 1945 bis zum 1. März 1946 als Chefrichter für die in Schleswig-Holstein untergebrachten Verbände der internierten deutschen Wehrmacht eingesetzt und am 28. Juli 1947 mit Genehmigung der britischen Militärregierung als beauftragter Richter am Landgericht Köln zugelassen, nachdem der Entnazifizierungs-Hauptausschuss Bergisch-Gladbach ihn in die Kategorie V («Entlastet») eingestuft hatte.[119] Im rheinland-pfälzischen Neustadt an der Haardt erhielt er schließlich zum 1. April 1950 als Oberlandesgerichtsrat wieder eine Lebenszeitanstellung, bevor er ein Jahr später, am 1. April 1951, als Ministerialrat in das Bundesministerium der Justiz berufen wurde.[120]

Diese Wiederverwendung Kanters im Dienst der Bundesrepublik stieß jedoch schon früh auf Kritik. So erklärte der Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Rudolf Amelunxen, Dehler gegenüber bereits im Januar 1952, nachdem er augenscheinlich auf die frühere Tätigkeit Kanters aufmerksam geworden war, dieser habe in der Militärjustiz des nationalsozialistischen Staates eine «außergewöhnliche Laufbahn zu verzeichnen» gehabt und «dabei offensichtlich bis zuletzt sein Amt in einer Weise geführt […], die ihn den damaligen Machthabern genehm erscheinen ließ». Als ein «Vertrauensmann der damaligen Militärjustiz» sei er deshalb «alles andere als ein Vorbild für die Rechtspflege in einem demokratischen Staat».[121] Dehler solle ihn deshalb wieder entlassen. Doch dieser stellte sich vor Kanter: Man dürfe sich von der äußeren Laufbahngestaltung eines Beamten zwischen 1933 und 1945 nicht irreführen lassen, sondern müsse «hinter dem äußeren Anschein nach den Maßstäben der uns möglichen Gerechtigkeit die für eine Ministerialverwendung in Betracht kommenden Personen nach ihrem während jener Zeit bewiesenen tatsächlichen dienstlichen und menschlichen Verhalten […] beurteilen».[122]

Als Kanter ein Jahr später als Bundesanwalt beim Generalbundesanwalt im Gespräch war, gab es erneut Kritik.



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